LG Frankfurt lehnt Staatshaftungsansprüche wegen Dieselskandal ab
Kein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Staat
(prejus) Das Landgericht Frankfurt am Main entschied, dass Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Diesel-PKW keinen Schadensersatz von der Bundesrepublik Deutschland verlangen können. Deutschland habe europäisches Recht nicht unzureichend in nationales Recht umgesetzt. Auch sei bei der Überwachung der Automobilindustrie nicht „qualifiziert“ gegen Kontrollpflichten verstoßen worden. Zudem verleihe das einschlägige EU-Recht einzelnen Diesel-Fahrern keine individuellen, einklagbaren Rechte.
Die klagenden Dieselfahrer erwarben Fahrzeuge der Marken VW oder Audi, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen waren. Die Software bewirkte, dass die Fahrzeuge im Prüfstandlauf verbesserte Stickoxidwerte (NOx) lieferten. Die für Staatshaftungsansprüche zuständige 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat die Klagen in vier Urteilen vom 21. Oktober 2020 abgewiesen. Den Dieselfahrern stünden keine Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland zu.
Deutschland habe die Richtlinie 2007/46/EG zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen ordnungsgemäß in nationales Rechts umgesetzt. „Die Mitgliedsstaaten haben bei Verstößen gegen die Richtlinie einen Ermessenspielraum, welche Sanktionen sie festlegen“, erklärte die Kammer. In Deutschland sei nicht nur die Möglichkeit der Rücknahme der Typengenehmigung geschaffen worden. Die Nichtbeachtung der einschlägigen Regelungen des Straßenverkehrsgesetzes könne auch als sanktionsbewehrte Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Schließlich könne das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit manipulierter Software grundsätzlich auch einen Betrug darstellen und strafrechtliche Folgen haben.
Die Vermutung der Kläger, härtere Sanktionen wie etwa in den USA hätten eher vor Manipulationen abgeschreckt, sei „mit keinerlei Tatsachen belegt und auch die eingeleiteten Ermittlungsverfahren in den USA streiten jedenfalls nicht für deren Richtigkeit“, so die Kammer des Landgerichts. Ein Schadensersatzanspruch der Dieselfahrer sei auch nicht deswegen gegeben, weil Deutschland die Automobilindustrie unzureichend überwacht habe. Staatshaftungsansprüche kämen nur in Betracht, wenn Deutschland seine Kontrollpflichten in sog. qualifizierter Weise verletzt habe.
Kraftfahrzeugbundesamt auf Herstellerangaben vertraut
„Dass das Kraftfahrzeugbundesamt offenbar den Herstellerangaben zu Laufstandmessungen vertraute, ist nicht so verwerflich, dass darin der für die Staatshaftung erforderliche qualifizierte Verstoß zu sehen ist“, befand das Landgericht. Und weiter: „Dass der namhafte Hersteller des Fahrzeugs, an dessen Konzernmutter das Land Niedersachen aktienrechtlich erheblich beteiligt ist, Messungen mithilfe der Abschalteinrichtung manipulierte, war bis Herbst 2015 wohl eher als abwegig anzusehen.“
Schadensersatzansprüche der klagenden Dieselfahrer scheiterten auch daran, dass keine unionsrechtliche Norm den Schutz ihrer individuellen Rechte bezwecke. „Aus den Begründungserwägungen des Unionsgesetzgebers lässt sich vielmehr entnehmen, dass lediglich Allgemeininteressen betroffen sind“, so die Kammer. „Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finden darin keine Erwähnung.“ Die Dieselfahrer seien daher gehalten, die Fahrzeughersteller auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.
Die Urteile vom 21. Oktober 2020 (Aktenzeichen 2-04 O 425/19, 2-04 O 449/19, 2-04 O 455/19 und 2-04 O 123/20) sind nicht rechtskräftig. Sie werden in Kürze unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abrufbar sein.
Quelle: Ordentliche Gerichtsbarkeit Hessen vom 23.11.2020