Mehr Entschädigungsmöglichkeiten für straftrechtlich verfolgte Homosexuelle
Neue Richtlinie zu „Paragraf 175“ in Kraft
(prejus) Menschen, die in Deutschland wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen strafrechtlich verfolgt wurden, können beim Bundesamt für Justiz (BfJ) ab sofort mehr Entschädigungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen als bisher. Dies regelt eine neue Richtlinie des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), die am 13. März 2019 in Kraft getreten ist.
Demnach genügt jetzt beispielsweise schon ein Ermittlungsverfahren oder dass Untersuchungshaft oder eine andere vorläufige freiheitsentziehende Maßnahme erlitten wurde, damit das BfJ eine Entschädigungsleistung bewilligen kann. Das war vorher nicht möglich. Nach dem Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) musste bislang eine rechtskräftige Verurteilung und gegebenenfalls eine erlittene Freiheitsentziehung aufgrund §§ 175, 175a StGB oder § 151 StGB-DDR nachgewiesen werden. Somit konnten Personen, deren Verfahren mit Freispruch endete oder durch Einstellung beendet wurde, nicht entschädigt werden.
Entschädigungsleistungen jetzt auch ohne Strafurteil
Das ändert sich mit der neuen Richtlinie. Sie berücksichtigt, dass nicht erst eine Verurteilung, sondern bereits die Strafverfolgung wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen aus heutiger Sicht als unvereinbar mit dem freiheitlichen Menschenbild des Grundgesetzes zu bewerten ist. Insbesondere die Untersuchungshaft griff massiv in die Grundrechte der Betroffenen ein. Daher können Personen, die in Untersuchungshaft waren, nun eine Entschädigung in Höhe von 1.500 Euro je angefangenes Jahr erlittener Freiheitsentziehung erhalten. Davon unabhängig gibt es 500 Euro Entschädigung für jedes gegen eine Person eingeleitete Ermittlungsverfahren.
1.500 Euro Entschädigung können auch Personen erhalten, die im Zusammenhang mit den damaligen strafrechtlichen Verboten einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter außergewöhnlich negativen Beeinträchtigungen zu leiden hatten. Darunter fallen berufliche, wirtschaftliche, gesundheitliche oder sonstige vergleichbare Nachteile. Die bloße Existenz der einschlägigen Strafvorschriften und die damit verbundene Stigmatisierung führten zu Einschränkungen in der Lebensführung, zu belasteten Biografien, Benachteiligungen und Ausgrenzungen.
Seit Sommer 2017 entschädigt das BfJ bereits Betroffene nach dem StrRehaHomG. Das Gesetz hebt strafrechtliche Verurteilungen und gerichtliche Unterbringungsanordnungen auf, die in den Jahren 1945 bis 1994 im heutigen Staatsgebiet der Bundesrepublik wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen gemäß §§ 175, 175a StGB, 151 StGB-DDR ergangen sind. Als Anerkennung des erlittenen Strafmakels haben die mit dem Gesetz Rehabilitierten einen Anspruch auf 3.000 Euro je aufgehobenes Urteil und 1.500 Euro je angefangenes Jahr erlittener Freiheitsentziehung. 133 Betroffene haben seit Inkrafttreten des Gesetzes beim BfJ Anträge auf Entschädigung gestellt. Bislang konnten Entschädigungsleistungen von insgesamt 433.500 Euro bewilligt werden.
Unkomplizierte Antragstellung, niederschwelliges Nachweisverfahren
Die Geldleistungen sind nicht als Schadensersatz zu verstehen. Es geht vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Solidarität um eine symbolische Anerkennung erlittener Beeinträchtigungen. Das BMJV als Urheber der Richtlinie legt Wert auf eine schnelle und unkomplizierte Entschädigung für den hochbetagten Personenkreis durch das BfJ. Deshalb genügt es, wenn die Voraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen und seitens der Antragstellerinnen und Antragsteller plausibel vorgetragen werden.
Betroffene, die bereits zuvor einen Entschädigungsantrag beim BfJ gestellt haben, erhalten unaufgefordert Post von dort. Sie müssen also nicht von selbst erneut an das BfJ herantreten, dürfen dies aber selbstverständlich tun. Durch die bisherigen Kontakte zu Betroffenen und die enge Zusammenarbeit mit der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren e. V. (BISS), die eine Hotline (Telefon 0800 1752017) auch für psychosoziale Fragen betreibt, sind dem BfJ schon einige Fälle bekannt, die unter die neue Richtlinie fallen könnten. Es ist zu hoffen, dass noch viele der damals Verfolgten – nun auch nach der neuen Richtlinie – von ihrem Recht auf Entschädigung Gebrauch machen.
Die neuen Regelungen können in der „Richtlinie zur Zahlung von Entschädigungen für Betroffene des strafrechtlichen Verbots einvernehmlicher homosexueller Handlungen aus dem Bundeshaushalt (Kapitel 0718 Titel 681 03)“ nachgelesen werden. Die Richtlinie sowie alle Informationen zur Entschädigung und ihrer Beantragung sind im Internet unter www.bundesjustizamt.de/rehabilitierung zu finden. Das BfJ bietet eine telefonische Beratung zum Thema unter der Rufnummer 0228 99 410-40 an.
Kontakt:
Thomas W. Ottersbach
– Pressesprecher –
Bundesamt für Justiz
Adenauerallee 99 – 103
53113 Bonn
Tel.: +49 228 99 410-4444
Fax: +49 228 99 410-4614
E-Mail: pressestelle@bfj.bund.de
Internet: www.bundesjustizamt.de
Quelle: Pressemitteilung des Bundesamts für Justiz vom 13. März 2019
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