Keine Platz- oder Reservierungsgebühren für Pflegeheim
Das gilt auch für Privatversicherte
(anwalt-suchportal) Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs musste über die Frage entscheiden, ob eine Platz- oder Reservierungsgebühr, die einem privatversicherten Pflegebedürftigen für die Zeit vor dem tatsächlichen Einzug in das Pflegeheim berechnet wurde, zurückerstattet werden muss. Der Entscheidung des BGH lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde:
Für die inzwischen verstorbene Mutter des Klägers bestand eine private Pflegepflichtversicherung. Sie war ab dem 4. Januar 2016 pflegebedürftig und wurde zunächst in einem anderen Alten- und Pflegeheim vollstationär untergebracht. In der Folgezeit schlossen der Kläger als Vertreter seiner Mutter und die Beklagte als Einrichtungsträgerin unter dem 12. Februar 2016 einen schriftlichen „Vertrag für vollstationäre Pflegeeinrichtungen“ mit Wirkung zum 15. Februar 2016. Der Einzug der Bewohnerin in das Pflegeheim der Beklagten erfolgte am 29. Februar 2016.
Der Pflegevertrag sieht vor, dass die (künftige) Bewohnerin vom Vertragsbeginn bis zum Einzugstermin eine Platzgebühr in Höhe von 75 % der Pflegevergütung, der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie des Umlagebetrags nach der Altenpflegeausbildungsausgleichsverordnung (AltPflAusglVO) zu entrichten hat. Dementsprechend stellte die Beklagte unter dem 22. März 2016 der Mutter des Klägers für die Reservierung eines Zimmers in ihrem Pflegeheim in dem Zeitraum vom 15. bis 28. Februar 2016 eine Platzgebühr in Höhe von 1.127,84 € in Rechnung. Der Kläger bezahlte zunächst den Rechnungsbetrag. 2018 forderte er die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung auf.
Der Kläger machte geltend, gemäß § 87 a SGB XI habe eine Vergütungspflicht erst ab dem tatsächlichen Einzug seiner Mutter in das Pflegeheim der Beklagten am 29. Februar 2016 bestanden. Abweichende Vereinbarungen seien unwirksam.
Amtsgericht veurteilte zur Zahlung der Resevierungsgebühr
Das Amtsgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung des geforderten Betrags nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Landgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise ab und veruteilte die Beklate zur Zahlung von 209,30 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Im übrigen wies die Kammer die Klage ab. Die Klägerin legte Revision beim BGH ein. Das Rechtsmittel war erfolgreich.
Platz-/Reservierungsgebühr mit § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG unvereinbar
Auf die Revision des Klägers hob der III. Zivilsenat des BGH das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück, soweit die Klage abgewiesen wurde. Dies mit der Begründung, dass die Vereinbarung einer Platz- oder Reservierungsgebühr mit § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG in Verbindung mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar und daher unwirksam (15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI) sei.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG müssen in Verträgen mit Verbrauchern, die Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in Anspruch nehmen, die Vereinbarungen den Regelungen des Siebten und Achten Kapitels des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie den aufgrund dieser Kapitel getroffenen Regelungen entsprechen. Die Verweisung in § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG auf die Vorschriften des Achten Kapitels des SGB XI über die Vergütung der Pflegeleistungen schließt die zu diesen Bestimmungen zählende Regelung des § 87a Abs. 1 SGB XI ein. Norm auch auf Verbraucher, die Leistungen einer privaten Pflegepflichtversicherung erhalten, anwendbar
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts umfasst der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 WBVG nicht nur Verbraucher, die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung im Sinne des § 28 SGB XI unmittelbar beziehen, sondern auch Verbraucher, die Leistungen einer privaten Pflegepflichtversicherung erhalten und damit mittelbar Leistungen auf der Basis des Vierten Kapitels des SGB XI in Anspruch nehmen. Dafür sprechen nicht nur der enge systematische Zusammenhang und die leistungsmäßige Gleichstellung der sozialen und der privaten Pflegeversicherung (§ 23 in Verbindung mit § 110 SGB XI), sondern vor allem auch der in der Gesetzesbegründung eindeutig zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck der Vorschrift.
In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass mit § 15 Abs. 1 WBVG eine Sonderregelung für das Verhältnis zwischen vertraglichen Vereinbarungen von Unternehmer und Verbraucher und den gesetzlichen Regelungen des SGB XI geschaffen werde. Hiernach seien vertragliche Vereinbarungen, die den Vorschriften des SGB XI sowie den aufgrund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen nicht entsprächen, unwirksam. Erfasst würden mit der Bezugnahme auf die Regelungen des SGB XI auch die Fälle mittelbarer Leistungsinanspruchnahme im Rahmen der privaten Pflegepflichtversicherung.
Dem in der Gesetzesbegründung betonten Zweck des § 15 Abs. 1 WBVG, den Vorrang des Leistungserbringungsrechts nach dem SGB XI vor vertraglichen Vereinbarungen nach dem WBVG sicherzustellen und die zivilrechtlichen/vertragsrechtlichen Vorgaben des WBVG mit den leistungsrechtlichen Bestimmungen des SGB XI zu harmonisieren, kann nur dann umfassend Rechnung getragen werden, wenn der Anwendungsbereich der Norm auch auf die Fälle der mittelbaren Inanspruchnahme von Sozialleistungen nach dem SGB XI erstreckt wird. Andernfalls käme es zu einer kaum nachvollziehbaren Ungleichbehandlung der hinsichtlich des Leistungsumfangs gleichgestellten Versicherten in der privaten Pflegeversicherung, die der Gesetzgeber in diesem Bereich gerade vermeiden wollte.
Platz- oder Reservierungsgebühr verstößt auch gegen § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI
Es ist mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar, eine Platz- oder Reservierungsgebühr auf der Basis des vertraglichen Leistungsentgelts – gegebenenfalls vermindert um pauschalierte ersparte Aufwendungen – für die Zeit vor der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim bis zum tatsächlichen Einzugstermin vertraglich festzulegen. Dies widerspräche nicht nur dem Prinzip der Abrechnung der tatsächlichen Leistungserbringung auf Tagesbasis, sondern begründete auch die (naheliegende) Gefahr, dass Leerstände im Anschluss an einen Auszug oder das Versterben eines Heimbewohners doppelt berücksichtigt würden, nämlich zum einen über die in die Pflegesätze eingeflossene Auslastungskalkulation und/oder etwaige Wagnis- und Risikozuschläge und zum anderen über die zusätzliche Inrechnungstellung eines Leistungsentgelts ohne tatsächliche Leistungserbringung gegenüber einem zukünftigen Heimbewohner.
§ 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI erklärt die Regelungen zur Zahlungspflicht nach § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI für zwingend. Wegen § 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG ist es auch nicht möglich, abweichenden Vereinbarungen in einem Wohn- und Betreuungsvertrag den Vorrang einzuräumen. Beklagte ist daher zur Rückerstattung der Reservierungsgebühr verpflichtet. Die Beklagte ist nach Bereicherungsrecht zur Rückerstattung weiterer 918,54 € verpflichtet. Der Senat konnte jedoch nicht abschließend entscheiden, weil Feststellungen dazu nachzuholen sind, ob der Kläger für den geltend gemachten Anspruch aktivlegitimiert ist.
BGH-Urteil vom 15.07.2021 in dem Verfahren III ZR 225/20
Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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