Begründung einer Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung nach § 203 Abs. 5 VVG
(anwalt-suchportal) In den letzten Jahren ist es in der privaten Krankenversicherung fortlaufend zu massiven Steigerungen der zu zahlenen Krankenversicherungsbeiträge gekommen. Insbesondere im kommenden Jahr werden die Beiträge erneut massiv steigen; je nach Versicherer um mehr als 10 %. Der BGH musste sich nunmehr mit der Frage befassen, welche Darlegungen für die Begründung einer solcher Prämienanpassung erforderlich sind. Der BGH entschied, dass der Versicherer angegeben muss, bei welcher Rechnungsgrundlage – Versicherungsleistungen, Sterbewahrscheinlichkeit oder beiden – eine nicht nur vorübergehende und den festgelegten Schwellenwert überschreitende Veränderung eingetreten ist. Hingegen muss die Versicherung nicht mitteilen, in welcher Höhe sich die Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie etwa des Rechnungszinses, anzugeben.
Widerspruch gegen die Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung von 2014 bis 2017
Die Kläger wandten sich gegen mehrere Beitragserhöhungen in den Jahren zwischen 2014 und 2017, die ihr privater Krankenversicherer auf der Grundlage von § 203 Abs. 2 VVG
vorgenommen hatte. Im Verfahren IV ZR 294/19 beanstandete der Kläger zuletzt nur noch die Mitteilungen über die Gründe für die Beitragserhöhungen. Das Landgericht gab seiner Klage statt und stellte die Unwirksamkeit der Prämienanpassungen für die Jahre 2015 und 2016 fest. Gleichzeitig wurde der Versicherer antragsgemäß zur Rückzahlung der gezahlten Erhöhungsbeträge verurteilt. Das Oberlandesgericht änderte dies im Wesentlichen dahingehend ab. Das OLG stellte eine Unwirksamkeit der Prämienanpassungen nur bis zum 31. Dezember 2017 fest und verurteilte den Versicherer nur zur Rückzahlung der bis zu diesem Zeitpunkt auf die Prämienanpassungen für 2015 und 2016 gezahlten Erhöhungsbeträge. Nach Auffassung des Berufungsgerichts waren die Mitteilungen der Prämienanpassungen für diese Jahre nicht mit ausreichenden Gründen versehen. Der Versicherer habe die Begründung jedoch in der Klageerwiderung nachgeholt, so dass der Mangel von diesem Zeitpunkt an geheilt gewesen sei und die Prämienanpassungen zum 1. Januar 2018 wirksam geworden seien.
Im Verfahren IV ZR 314/19 machte der Kläger die formelle und materielle Unwirksamkeit der Prämienanpassungen geltend. Seine Klage hatte in den Vorinstanzen in vollem Umfang Erfolg. Der beklagte Versicherer ist u.a. verurteilt worden, die bis zum 15. Februar 2017 auf die Prämienerhöhungen für die Jahre 2014, 2015 und 2017 gezahlten Erhöhungsbeträge zurückzuzahlen. Das Berufungsgericht hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Mitteilungen über die Prämienanpassungen nicht den Mindestanforderungen aus § 203 Abs. 5 VVG genügten und die Prämienanpassungen deswegen nicht wirksam geworden seien. Dagegen richten sich die Revisionen der Beklagten.
Prämienanpassung setzt wirksame Neufestsetzung voraus
Der Bundesgerichtshof hat in beiden Verfahren bestätigt, dass bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt wird. Dabei, so hat der Senat jetzt entschieden, muss angegeben werden, bei welcher Rechnungsgrundlage – Versicherungsleistungen, Sterbewahrscheinlichkeit oder beiden – eine nicht nur vorübergehende und den festgelegten Schwellenwert überschreitende Veränderung eingetreten ist und damit die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst wurde. Dagegen muss der Versicherer nicht die genaue Höhe dieser Veränderung mitteilen. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses anzugeben.
Allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, ist unzureichend
Der Gesetzeswortlaut sieht im Fall der Prämienanpassung die Angabe der „hierfür“ maßgeblichen Gründe vor und macht damit deutlich, dass sich diese auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen müssen; eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht. Maßgeblich, d.h. entscheidend für die Prämienanpassung ist gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 und 3 VVG die als nicht nur vorübergehend anzusehende Veränderung der bzw. einer der dort genannten Rechnungsgrundlagen. Dagegen ist die konkrete Höhe der Veränderung dieser Rechnungsgrundlagen ebenso wenig entscheidend wie die Frage, ob der überschrittene Schwellenwert im Gesetz oder davon abweichend in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt ist.
Die Gesetzesbegründung zeigt, dass der Gesetzgeber im Rahmen der VVG-Reform 2008 keine grundsätzliche Neuregelung für das Wirksamwerden einer Prämienanpassung beabsichtigte, sondern die Mitteilungspflicht nur geringfügig erweitern wollte. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe soll dem Versicherungsnehmer zeigen, was der Anlass für die konkrete Prämienanpassung war. Sie erfüllt so den Zweck, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Dagegen hat die Mitteilungspflicht nicht den Zweck, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen.
Unvollständige Angaben können nachgeliefert werden
Fehlende Angaben zu den Gründen der Prämienanpassung können vom Versicherer nachgeholt werden, setzen aber erst ab Zugang die Frist für das Wirksamwerden der Prämienanpassung in Lauf und führen nicht zu einer rückwirkenden Heilung der unzureichenden Begründung. Erfolgt eine weitere, diesmal insgesamt wirksame Prämienanpassung im betreffenden Tarif, hat der Versicherungsnehmer jedenfalls ab dem Wirksamwerden dieser Anpassung die Prämie in der damit festgesetzten neuen Gesamthöhe zu zahlen. Nach diesem Maßstab ging das Berufungsgericht im Verfahren IV ZR 294/19 rechtsfehlerfrei davon aus, dass die von der Beklagten mitgeteilten Gründe für die Prämienerhöhungen zum 1. Januar 2015 und zum 1. Januar 2016 die Voraussetzungen der erforderlichen Mitteilung nicht erfüllen. Da aber durch eine spätere, ausreichend begründete Prämienanpassung in einem der betroffenen Tarife die Prämie ab diesem
Zeitpunkt wirksam neu festgesetzt worden war, änderte der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil teilweise ab.
Im Verfahren IV ZR 314/19 hat das Berufungsgericht dagegen eine der im Streit stehenden Prämienanpassungen zu Unrecht für nicht ausreichend begründet gehalten. Der Bundesgerichtshof hob daher das Berufungsurteil teilweise auf und verwies die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, damit es die materielle Rechtmäßigkeit dieser Prämienanpassung prüfen kann.
Urteile des BGH vom 16.12.2020, IV ZR 294/19 und IV ZR 314/19
Vorinstanzen:
IV ZR 294/19
LG Köln – Urteil vom 29.08.2018, 23 O 305/17
OLG Köln – Urteil vom 29.10.2019, 9 U 127/18
IV ZR 314/19
AG Schöneberg – Urteil vom 26.09.2018, 14 C 62/17
LG Berlin – Urteil vom 07.11.2019, 24 S 22/18
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