(prejus) Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am Mittwoch, 25. November 2015, 10.00 Uhr, im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe über eine Verfassungsbeschwerde, mit der sich die Beschwerdeführer gegen zivilgerichtliche Urteile zur urheberrechtlichen Zulässigkeit des Samplings wenden.
1. Als Sampling wird in der Musik ein Gestaltungsmittel verstanden, das in der Speicherung von Klängen aus unterschiedlichen Tonquellen und der Verarbeitung dieser Klänge in einem neuen Musikstück besteht. Der Einsatz von Sampling spielt insbesondere im Bereich des Hip-Hop und der elektronischen Musik eine bedeutende Rolle.
2. Beschwerdeführer sind unter anderem die zwei Komponisten und die Sängerin des Titels „Nur mir“, der 1997 in mehreren Versionen auf dem Album „Die neue S-Klasse“ und auf einer EP („Extended Play“) veröffentlicht wurde, sowie die Musikproduktionsgesellschaft, die das Album und die EP hergestellt hat. Nach den zivilgerichtlichen Feststellungen war zur Herstellung von zwei Versionen des Titels „Nur mir“ eine Rhythmussequenz von zwei Sekunden aus der Tonspur des Titels „Metall auf Metall“ aus dem Album „Trans Europa Express“ der deutschen Band „Kraftwerk“ von 1977 im Original entnommen und in nur geringfügig veränderter Form den beiden Versionen als fortlaufend wiederholte Rhythmusfigur („Loop“) zugrunde gelegt worden.
Auf Klage von zwei Gründungsmitgliedern der Band „Kraftwerk“ wurden die Komponisten und die Musikproduktionsgesellschaft verurteilt, die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern mit
den beiden betroffenen Versionen des Titels „Nur mir“ zu unterlassen und bereits bestehende Tonträger an die Kläger zur Vernichtung herauszugeben. Außerdem wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführer den Klägern schadensersatzpflichtig seien. Der Bundesgerichtshof, der zweimal mit der Sache befasst war, erhielt die Verurteilung aufrecht (Urteil vom 20. November 2008 – I ZR 112/06, Metall auf Metall I – und Urteil vom 13. Dezember 2012 – I ZR 182/11, Metall auf Metall II -). Auch die Entnahme kleinster Ausschnitte aus einer fremden Tonspur stelle einen Eingriff in das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) dar und bedürfe grundsätzlich dessen Zustimmung. Eine Ausnahme hiervon bestehe, wenn es sich um eine freie Benutzung gemäß der entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 24 Abs. 1 UrhG handle. Voraussetzung hierfür sei aber, dass die betreffende Sequenz nicht in gleichwertiger Art und Weise nachgespielt werden könne. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Hamburg (Urteil vom 17. August 2011 – 5 U 48/05 -) sei dies hier jedoch möglich gewesen, so dass sich die Beschwerdeführer nicht auf das Recht auf freie Benutzung berufen könnten.
3. Die Komponisten und die Musikproduktionsgesellschaft machen mit ihrer Verfassungsbeschwerde insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geltend. Die Annahme eines urheberrechtlichen Eingriffs in das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers bereits bei der Entnahme kleinster Ausschnitte aus einer fremden Tonspur verletze schon für sich genommen die Kunstfreiheit. Jedenfalls nicht selbstständig auswertbare Teile eines Tonträgers könnten nicht dem Schutz des § 85 UrhG unterfallen. Das Sampling bewirke zudem nur einen geringfügigen Eingriff in die Tonträgerherstellerrechte ohne die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile, weshalb das Interesse des Tonträgerherstellers am Schutz seines geistigen Eigentums gegenüber der künstlerischen Entfaltungsfreiheit zurücktreten müsse.
Auch das Kriterium für ein Recht auf freie Benutzung (das heißt die fehlende gleichwertige Nachspielbarkeit) und dessen Anwendung im konkreten Fall trage der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Es genüge nicht dem Gebot der Bestimmtheit und verunsichere die Musikschaffenden darüber, ob ihr Tun Leistungsschutzrechte verletze. Musikschaffenden werde es unmöglich, sich mit Tonaufnahmen der Vergangenheit musikalisch auseinanderzusetzen, die die heutige Popmusik, insbesondere die elektronische Musik, maßgeblich prägten. Darüber hinaus ergebe es keinen Sinn zu verlangen, dass der Ausschnitt selbst hergestellt werde, da durch die Bezugnahme auf das gesampelte Werk gerade der Originalkontext gesucht werde.
4. Die Sängerin des Titels „Nur mir“ war nicht am Ausgangsverfahren beteiligt. Sie sieht sich dadurch in ihrem Grundrecht auf Kunstfreiheit verletzt, dass Tonträger mit den beanstandeten Versionen des Titels „Nur mir“ nach den angegriffenen Urteilen nicht mehr vertrieben werden dürfen. Bei den weiteren acht Beschwerdeführern handelt es sich um Musikschaffende, die sich durch die urheberrechtliche Beschränkung des Samplings in den angegriffenen Urteilen des Bundesgerichtshofs von der Ausübung ihrer Kunst abgehalten sehen.
5. Die Verhandlungsgliederung wird vor der mündlichen Verhandlung gesondert bekannt gegeben.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 77/2015 vom 28. Oktober 2015.
Aktenzeichen des BverfG: 1 BvR 1585/13