(prejus) Absprachen mit der Politik begründen keinen Vertrauensschutz – Zeitarbeitsfirma muss Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.
Bundessozialgericht entscheidet ähnlichen Fall am Mittwoch S 143 KR 1920/12 (Urteil vom 9. Juli 2015): Eine Zeitarbeitsfirma muss 25.000,00 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, weil sie ihre Mitarbeiter mehrere Jahre lang vorsätzlich nach einem unwirksamen Tarifvertrag bezahlt hat, statt den höheren gesetzlichen Mindestlohn zu gewähren. Auf Zusagen aus der Politik, eine Beitragsnachforderung zu verhindern, durfte die Firma nicht vertrauen. Mit dieser Begründung wies das Sozialgericht Berlin nach umfangreicher Beweisaufnahme die Klage einer Zeitarbeitsfirma gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund ab. Das Urteil ist in diesen Tagen rechtskräftig geworden.
Das Bundessozialgericht entscheidet am 16. Dezember 2015 einen Fall zur gleichen Problematik (www.bundessozialgericht.de – Termintipp Nr. 19/15). Zum Hintergrund: Im Zuge der Agenda 2010 lockerte die Bundesregierung 2003 die Rahmenbedingungen der Zeitarbeitsbranche. Als Ausgleich führte sie unter anderem das „equal pay“-Prinzip ein: Zeitarbeitnehmer und Stammarbeitnehmer sollten hinsichtlich des Lohns gleichgestellt werden. Das Gesetz galt jedoch mit der Einschränkung, dass ein Tarifvertrag abweichende Regelungen zulassen konnte. Daraufhin schlossen Arbeitgeberverbände der Zeitarbeitsbranche Tarifverträge mit der 2002 gegründeten „Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP)“, deren Lohnniveau deutlich unter den sonst üblichen Arbeitsverträgen lag. Am 14. November 2010 bestätigte das Bundesarbeitsgericht schließlich Entscheidungen der Vorinstanzen, wonach die CGZP gar nicht tariffähig sei. Die Tarifverträge seien deshalb unwirksam. In der Folge forderten die Sozialversicherungen diejenigen Beiträge nach, die die Zeitarbeitsfirmen hätten entrichten müssen, wenn sie das equal pay-Prinzip beachtet hätten.
Insgesamt waren über zwei Mio. Beschäftigungsverhältnisse überprüft worden. Die Zeitarbeitsbranche berief sich demgegenüber auf Vertrauensschutz. Zum Fall: Im Februar 2012 forderte die Deutsche Rentenversicherung Bund (Beklagte) von der klagenden Zeitarbeitsfirma für den Zeitraum Dezember 2005 bis Dezember 2009 rund 25.000,00 Euro Sozialversicherungsbeiträge nach. Die Klägerin, die gewerblich sogenannte Zeitarbeiter an andere Unternehmen überlässt, hatte in diesem Zeitraum nach eigenen Angaben 877 Mitarbeiter beschäftigt, die an rund 300 Entleiher überlassen worden waren. Die Bezahlung war nicht nach dem equal pay-Prinzip, sondern in Anwendung des Tarifvertrags mit der CGZP erfolgt.
Mit ihrer Ende 2012 erhobenen Klage wendet die Klägerin ein, dass sie auf die Anwendbarkeit des Tarifvertrages vertraut habe. Sie habe ihren Mitarbeitern deshalb frühestens ab der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts höhere Löhne geschuldet. Vorher habe sie gar keine Kenntnis von einer höheren Entgeltpflicht gehabt. Nach insgesamt vier Verhandlungsterminen und umfangreicher Zeugenvernehmung hat die 143. Kammer des Sozialgerichts Berlin (in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern) die Klage am 9. Juli 2015 abgewiesen. Wie das Bundesarbeitsgericht verbindlich festgestellt habe, sei der mit der CGZP geschlossene Tarifvertrag von Beginn an unwirksam gewesen, Die Klägerin habe ihren Mitarbeitern daher den Lohn geschuldet, der nach dem equal pay-Prinzip hätte gezahlt werden müssen. Dementsprechend seien auch höhere Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen gewesen. Der Vortrag der Klägerin, dass sie auf die Wirksamkeit des Tarifvertrages vertraut habe, sei nicht glaubhaft. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie von Anfang an den bedingten Vorsatz gehabt habe, Sozialversicherungsbeiträge vorzuenthalten. Sie habe in Kauf genommen, dass der Tarifvertrag unwirksam sei, und ihn dennoch angewandt mit dem Ziel, höhere Löhne und damit auch höhere Sozialversicherungsbeiträge zu sparen.
Dies sei Ergebnis der Beweisaufnahme, in der der Geschäftsführer und ein Mitinhaber der Klägerin als Zeugen gehört wurden. Deren Wissen müsse sich die Klägerin als juristische Person (GmbH)
zurechnen lassen. Der Geschäftsführer sei Mitglied einer Runde von Arbeitgebern aus der Zeitarbeitsbranche gewesen, die die Umgehung des gesetzlichen Mindestlohns, also des equal pay-Prinzips, aktiv vorbereitet habe. Genau zu diesem Zwecke sei die Klägerin dann auch dem Arbeitgeberverband beigetreten, der den Tarifvertrag mit der CGZP abgeschlossen habe. Der als Zeuge gehörte Mitinhaber habe das Thema „Wirksamkeit des CGZP-Tarifvertrages“ von Anfang an politisch begleitet. Die Zeugen hätten so ein tarifrechtliches Fachwissen erlangt, das es ausgeschlossen erscheinen lasse, dass sie die Unwirksamkeit des Tarifvertrags nicht zumindest für möglich gehalten haben. Es sei im Gegenteil gar nicht vorstellbar, dass der Mitinhaber als fachkundiger Interessenvertreter die Tariffähigkeit der CGZP überhaupternsthaft in Betracht gezogen habe.
Die Klägerin habe auch frühzeitig mit entsprechenden Beitragsnachforderungen rechnen müssen. Der Geschäftsführer selbst habe von der „Schrecksekunde“ gesprochen, als bereits auf einer Verbandssitzung Ende 2009 zur Sprache gekommen sei, dass es mit dem Tarifvertrag Probleme geben könne. Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts habe der Mitinhaber dann schließlich versucht, politischen Einfluss zu nehmen. Wörtlich zitiert das Urteil dessen Aussage wie folgt:
„Wir glaubten seinerzeit, dass es eine politische Lösung zum Thema gibt. Es gab Zusagen aus der CDU und aus der FDP, dass man politisch Einfluss nimmt, damit die Rentenversicherung keine Beiträge nachfordert.“ Dieser Versuch der politischen Einflussnahme sei indes ein weiterer Beleg dafür, dass der Klägerin die Nachzahlungspflicht deutlich bewusst gewesen sei. Aufgrund des bedingten Vorsatzes der Klägerin verlängere sich die Verjährungsfrist für die Beitragsnachforderungen von vier auf 30 Jahre. Angesichts des unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwands zur
Ermittlung der exakt geschuldeten Beiträge habe die Beklagte diese auch schätzen dürfen.
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Quelle: Pressemitteilung des Sozialsgerichts Berlin vom 14. Dezember 2015.