(prejus) Die Kieler Verkehrsgesellschaft (KVG) darf nicht unterschiedslos alle E-Scooter von der Beförderung in den Bussen des öffentlichen Personennahverkehrs ausschließen. Sie benachteiligt damit in unzulässiger Weise Menschen mit Behinderung. Mit Urteil vom heutigen Tag untersagte der 1. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes es der KVG, Allgemeine Beförderungsbedingungen zu verwenden, die E-Scooter von der Beförderung in den Bussen pauschal ausschließen, ohne nach der Art des Modells zu differenzieren.
Zum Sachverhalt:
Der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. klagt im Eilverfahren (einstweiliges Verfügungsverfahren) gegen die KVG. Die KVG hatte im Februar 2015 angekündigt, entgegen ihrer bisherigen Praxis künftig keine E-Scooter mehr in Bussen mitzunehmen. Anlass für diese Regelung war eine Empfehlung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen e.V., die auf eine Studie der Forschungsgesellschaft STUVA aus dem Mai 2014 zurückging, wonach E-Scooter in bestimmten Fahrsituationen in Bussen kippen oder rutschen können. Als Ausweichmöglichkeit bot die KVG unter anderem an, dass Nutzer von E-Scootern in der Zeit zwischen 6 und 24 Uhr einen Einzeltransport mit einer Rufzeit von 30 bis 60 Minuten nutzen könnten.
Aus den Gründen:
Indem die KVG pauschal die Mitnahme aller E-Scooter-Modelle in ihren Bussen untersagt hat, hat sie bei der Beförderung Menschen mit Behinderung in unzulässiger Weise benachteiligt und damit gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (§ 19 AGG) verstoßen. Ein sachlicher Grund für das pauschale Verbot liegt nicht vor, insbesondere rechtfertigen die vorgetragenen Sicherheitsbedenken nicht den Beförderungsausschluss von allen E-Scootern.
E-Scooter werden zum großen Teil durch Körperbehinderte genutzt. Der Begriff der Behinderung in § 19 AGG erfasst auch eine eingeschränkte Gehfähigkeit, die zur Nutzung eines E-Scooters zwingt, ohne dass es auf einen anerkannten Grad der Behinderung ankommt. Es gibt kein gesetzliches Verbot des Transports von E-Scootern in Bussen.
Zwar kann eine Ungleichbehandlung dann gerechtfertigt sein, wenn sie zur Vermeidung von Gefahren oder Verhütung von Schäden dient. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trifft jedoch die KVG als Anbieter der Beförderungsleistung. Die KVG hat nicht glaubhaft gemacht, dass möglichen Gefahren beim Transport von E-Scootern, die durchaus in bestimmten Situationen bestehen können, nur durch ein undifferenziertes Verbot begegnet werden kann. Es gibt über 400 Modelle von E-Scootern auf dem Markt. Dabei handelt es sich um Modelle mit drei oder vier Rädern mit einer Vielzahl verschiedener Abmessungen und Gewichten.
Nicht bei jedem Modell stellt der Transport in einem Bus eine Gefahr dar, der nicht begegnet werden kann. So spricht die abschließende Studie der STUVA aus dem Oktober 2015 gegen ein undifferenziertes Verbot von E-Scootern für den Transport in Bussen. In der Studie ist die Manövrierfähigkeit verschiedener E-Scooter in verschiedenen Busmodellen sowie die Standsicherheit von E-Scootern in den für Rollstühle vorgesehenen Merzweckbereichen in Bussen untersucht worden. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass vierrädrige E-Scooter mit einer Länge von bis zu 1,20 Metern gefahrlos in Bussen mitgenommen werden können, wenn sie rückwärts entgegen der Fahrtrichtung längs an die für Rollstühle vorgesehene Prallplatte gestellt werden.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11.12.2015, 1 U 64/15.
Dr. Christine von Milczewski
Richterin am Oberlandesgericht
Pressesprecherin
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Quelle: Pressemitteilung 16/2015 Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht vom 11. Dezember 2015.