(Prejus) Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am Dienstag, 24. November 2015, 10.00 Uhr, im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe
über eine Verfassungsbeschwerde zu der Frage, ob einem Kind gegen seinen vermuteten leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater ein Anspruch auf sogenannte rechtsfolgenlose Abstammungsklärung eingeräumt werden muss.
Zur Klärung der leiblichen Abstammung gewährt das Gesetz in § 1598a BGB dem Vater, der Mutter und dem Kind gegenüber den jeweils anderen beiden Familienmitgliedern einen Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung und Duldung der Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe. Das Verfahren dient allein dem Kenntnisinteresse der klärungsberechtigten Person. An das Ergebnis des Abstammungsgutachtens werden keine unmittelbaren rechtlichen Folgen geknüpft. Insbesondere bleibt das rechtliche Abstammungsverhältnis zur getesteten Person auch beim Nachweis fehlender leiblicher Abstammung zunächst unberührt.
Nach allgemeiner Auffassung gewährt das Gesetz nur einen Klärungsanspruch des Kindes gegenüber seinem rechtlichen Vater, nicht jedoch gegenüber dem vermuteten leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater. Ob und inwieweit dessen Ausschluss aus dem Kreis der nach dem Gesetz anspruchsverpflichteten Personen mit der Verfassung in Einklang steht oder aber das Recht des an der Klärung interessierten Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung verletzt, ist Gegenstand der vorliegenden Verfassungsbeschwerde.
Die im Jahr 1950 nichtehelich geborene Beschwerdeführerin geht davon aus, dass der 1927 geborene Antragsgegner des Ausgangsverfahrens ihr biologischer Vater ist. Dieser hatte damals die Geburt der Beschwerdeführerin gegenüber dem Standesamt angezeigt. Auch hatte die 1972 verstorbene Mutter der Beschwerdeführerin bis zu ihrem Tod stets beteuert, dass der Antragsgegner der leibliche Vater ihrer Tochter sei. Dieser erkannte die Vaterschaft entgegen aller Aufforderungen der Beschwerdeführerin nicht an. Im Jahr 1954 nahm sie den Antragsgegner auf „Feststellung der blutsmäßigen Abstammung“ in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage nach Einholung eines Blutgruppengutachtens und eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens im Jahr 1955 rechtskräftig ab. Im Jahr 2009 forderte die Beschwerdeführerin den Antragsgegner zur Einwilligung in die Durchführung eines DNA-Tests auf, um die Vaterschaft abschließend zu klären. Der Antragsgegner lehnte auch dies ab.
Daraufhin nahm die Beschwerdeführerin ihn auf Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung und auf Duldung der Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe in Anspruch. Das Amtsgericht wies den Antrag der Beschwerdeführerin zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Der Wortlaut des § 1598a BGB sei eindeutig und stehe mit der Verfassung im Einklang. Die gesetzliche Regelung sei durchaus stimmig, da grundsätzlich eine Vaterschaftsfeststellung offen stehe und dieser Weg zur Rechtsverfolgung ausreichend sei. Dass diese Möglichkeit hier wegen des klageabweisenden Urteils des Landgerichts aus dem Jahr 1955 nicht bestehe, begründe keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie eine Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen Nichtbeachtung des Menschenrechts auf Achtung des Privatlebens. Zu dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gehöre auch das Recht, die Abstammung in einem rechtsförmigen Verfahren klären zu las-sen. Dieses Recht habe der Gesetzgeber durch § 1598a BGB nur unzureichend umgesetzt, da der vermutliche biologische, aber nicht rechtliche Vater nicht in Anspruch genommen werden könne. Solange das Interesse an der Klärung der Abstammung – wie hier – keine Zweifel in eine funktionierende soziale Familie hineintrage, sei § 1598a BGB zu Gunsten des Kindes verfassungskonform erweiternd auszulegen. Dies gebiete auch Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht Nr. 76/2015 vom 27. Oktober 2015.
Das Aktenzeichen des Verfahrens lautet: 1 BvR 3309/13
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